Donnerstag, 6. Juni 2019

Endspurt: nur noch 75 Tage


Brian, Leo, Rama und Alex (v.l.) nach einem langen Tag des Pflanzens.

Nach einer ganzen Weile ohne Post, hier mal die 3. Reflexion zum Freiwilligendienst. Gleich folgt auch noch ein Interview mit Moshin.

1. Was hat dir dein Freiwilligendienst bisher persönlich gebracht? (4. Bericht: Was hat er insgesamt persönlich gebracht?)
2. Wie würdest du dein eigenes Auftreten im Gastland sowie deinen Umgang mit kulturellen Unterschieden beschreiben?
3. Wie ordnest du deine (bisherigen) Erfahrungen im (entwicklungs-)politischen Kontext ein? Welche Aspekte von (Entwicklungs-)Politik beschäftigen dich derzeit und warum?
4. Was nimmst du dir für den weiteren Verlauf deines Freiwilligendienstes vor? (4. Bericht: Für die Zeit nach dem Freiwilligendienst als Schlussfolgerung daraus?)
5. Wie würdest du deine Rolle in der Einsatzstelle beschreiben? Welche Herausforderungen gibt es und wie gehst du damit um? Welche Ziele verfolgst du bei der Arbeit in deiner Einsatzstelle?

Die zweite Hälfte ist nun schon in der zweiten Halbzeit. Nach nun 276 Tagen im Kontinent, befindet sich die Zeit danach schon in greifbarer Nähe. Dank der Entscheidung, in meiner Heimatstadt Göttingen zu studieren, hat die Wohnungssuche mit der Hilfe von Freunden schon ein frühes Ende gefunden. Weil die Rückkehr jetzt schon so scheinbar nahe liegt, kreisen die Gedanken spürbar mehr um das Studium (Bewerbungsfristen haben begonnen) und die Zeit nach dem Freiwilligendienst.

Meine bisherige persönliche Bereicherung habe ich auch als Übung am Ende des Zwischenseminars im Februar zusammengetragen. Und wenn ich mir die Liste so ansehe, ist das eine ganze Menge. Ich zähle mal ein bisschen auf: Luganda, Verhandeln (ich bin gespannt auf meinen nächsten Flohmarkt), Einfinden und Einleben in Großstädten, Rezepte, Freunde, intensive Einblicke in höhere und niedrigere Gesellschaftsschichten in Kampala, Orte, Vegetation, reflektiertere Weltsicht, usw. Die Liste ist noch länger und wird sich garantiert bis zum nächsten und letzten Bericht noch erweitern. Insgesamt kann ich sagen, dass der Freiwilligendienst mir nach wie vor die Möglichkeit bietet, in unterschiedlichsten Facetten Einblicke zu bekommen, die so vermutlich nie wieder möglich sein werden. Weder als zukünftiger Tourist, noch als jemand, der hier mal arbeiten wird. Dafür bin ich sehr dankbar. Besonders auch, weil es für jede Bevölkerungsschicht in Deutschland möglich gemacht wird.

Aktuell nerven mich ein paar kulturelle Unterschiede. Vor zwei Wochen hat das zweite Trimester begonnen und selbst heute sind die Klassenräume erst halb voll. So kann immer noch nicht ernsthaft mit dem Stoff angefangen werden. Ich nutze die überschüssige Zeit nun, weiter mit meinen Schülern Schach, Dame und andere strategische Kartenspiele zu spielen.
Als ich neulich mit einem Freund einkaufen gegangen bin, rief ihm ein bekannter Bodafahrer zu, er möge ihm doch ein bisschen Geld geben. Er habe ja nun Geld, denn er laufe mit einem Weißen. Selbst jetzt noch werde ich ab und an von Nachbarn gefragt, ob ich ihnen nicht eine Soda oder eine Banane ausgeben könnte. Solche Situationen sind keineswegs neu, aber selbst nach der Versicherung, das sei nur ein Spaß oder Witz, sehe ich das ganz anders. Solche Bemerkungen enthalten Rassismus (in diesen Fällen gegen Weiße). Gegen solche Denkstrukturen kann ich wenig machen, ich muss locker damit umgehen und sie auch als Witz behandeln.

Diese Regenzeit, so hatte ich den Eindruck, kam erstaunlich langsam und spät. Es hat zunächst einen Monat nicht oder kaum geregnet. Die Preise für Gemüse, wie etwa Tomaten, sind gestiegen, selbst Bohnen und Milch wurden teurer. Dabei frage ich mich, ob das schon Auswirkungen der Klimakrise sind oder, ob der größere Einfluss von den mangelnden Wäldern kommt. Seit geraumer Zeit verfolge ich die Geschehnisse der Weltpolitik, mit einem besonderen Augenmerk auf Europa. Ich bin mittlerweile fest davon überzeugt, dass das Aufhalten der Klimakrise mit Abstand das wichtigste Thema ist und auch für die Weltpolitik sein sollte. Wenn der Kurs der Bundesregierung und den meisten anderen Staaten beibehalten wird, sind mit hunderten Millionen Geflohenen und Milliarden von Umsiedlungen zu rechnen. Kein anderes Problem kann dann noch in Ruhe und mit Zeit behandelt werden. Deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass Klimapolitik mittlerweile die bessere und wichtigere Entwicklungspolitik ist.

Noch sind es aber knapp drei Monate und der Schwerpunkt meiner Kraft und Zeit soll weiterhin in das Zweitprojekt des PCCP in Mpigi fließen. [Interview mit Moshin auf: leonardkehlenbeck.blogspot.de] Dort kann ich mich nicht nur so praktisch wie überhaupt möglich mit Aufforstung, Permakultur und Bewirtschaftung von (Frucht-)Wäldern beschäftigen, sondern auch wirklich dauerhafte Auswirkungen auf das Leben der Leute und Schüler dort haben. Ich habe deshalb in den letzten Monaten manchmal eine Woche am Stück dort verbracht. Ich kann nun davon ausgehen, dass der Bereich vor dem Schulgebäude wirklich gut wachsen und ein wunderbares Arbeitsklima schaffen wird. Im wahrsten Sinne des Wortes. Weil ich aber im besten Fall nur einmal die Woche am Wochenende dort sein kann, fällt es mir schwer, auch den Rest des Geländes zu bepflanzen und mit der nötigen Pflege zu versehen. Also wiederhole ich meine Forderung nur zu gerne: Schickt ökologisch interessierte Freiwillige nach Mpigi. Es lässt sich problemlos ein gut ausgestattetes Haus (für Freiwillige und Lehrer) auf dem Gelände bauen. Miete fiele dann auch nicht an. Der Stromanschluss solle laut Regierung auch bald kommen.

Im Projekt in Kabalagala (Kampala) läuft neben dem üblichen Unterricht nun wieder Schach an. Ich habe mit der vierten Klasse zero-budget Schachbretter aus Stoff und Plastikdeckeln gebastelt. Leider hat die Mehrheit die schon wieder verloren oder jemand hat sie geklaut. Ich hatte die Hoffnung, dass, wenn jeder sein eigenes hat, sich besonders gut darum gekümmert wird. Die gekauften Bretter sind inzwischen gar nicht mehr aufzufinden. Es wurden jetzt aber die Bretter aus Holz, Moshin sei Dank, mit Glas und einem Rahmen versehen. Dadurch sind sie stabil und schwer genug, um nicht verloren zu gehen. Wir lagern sie nun auch besser, sodass auch bisher keine Figuren verloren gegangen sind. Deckel lassen sich auch gut ersetzen.
Also auf in den Endspurt. Ab jetzt genieße ich die Früchte, den Regen, die Eigenarten und das unifreie Leben noch einmal besonders.

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